Tao ist vielfältig. Kaum einmal kommen zwei Menschen zusammen, die, indem sie über Tao und Te mit einander sprechen, sich in allen Einzelheiten einig sind. Mein Tipp in diesem Zusammenhang: Beachten wir, dass im Tao Te King mehrere Auffassungen vom Tao thematisch sind, die niemals einzeln, sondern bloß gemeinsam den Sinnhorizont erschließen. Im Gespräch miteinander ist uns in der Regel die eine oder andere Tao-Auffassung aktuell im Bewusstsein präsent und wir meinen eigentlich diese spezielle Auffassung, während wir vom Tao überhaupt sprechen. Meint unser Gesprächspartner aktuell eine andere Auffassung, so erscheint uns das, was er gerade vertritt, nicht ganz zuzutreffen. So kommt es vor, dass wir bisweilen an einander vorbei reden. Ich will darum einige Auffassungen vom Tao nennen:
1.1. Tao als das Namenlose
Gleich zu Beginn ist die Rede vom Tao als dem Namenlosen, also dem Tao, das nicht adäquat ausgesprochen werden kann.
Tao, kann es ausgesprochen werden,
Ist nicht das ewige Tao.
Der Name, kann er genannt werden,
Ist nicht der ewige Name. (TTK 1)
Oder:
Es gibt ein Wesen,
unbegreiflich, vollkommen,
vor Himmel und Erde entstanden.
So still!, so gestaltlos!
(...)
Ich kenne nicht seinen Namen.
Bezeichne ich es,
nenne ich es: Tao. (TTK 25)
Beide Abschnitte machen deutlich, dass der Name „Tao“ von Lao Tse notdürftig gewählt wird, um über das, was er bezeichnen soll, kommunizieren zu können. Tao selbst aber ist nicht mit einem Begriff fixierbar, sondern geht stets über alle begriffliche Bestimmtheit hinaus. Es übersteigt das Potential jedes Begriffs. Es ist eigentlich namenlos, also im Grunde seines Wesens genommen unaussprechlich, unbegreiflich. Das bedeutet nicht nur, dass man keinen adäquaten Namen aussprechen kann, sondern vielmehr, dass Lao Tses Anregung darin besteht, dass wir das begriffliche Denken schlechthin übersteigen müssen, um in Erfahrung zu bringen, was gemeint ist. Wie aber ist dies möglich, wenn wir nicht bloß in die Unverbindlichkeit und Willkürlichkeit des Irrationalen verfallen wollen?
Für uns, die wir den Weg über die inneren Stile suchen, ist die (Kampf-)Kunst als Kunst und in ihr insbesondere jenes Moment, welches über die bloße technische Vervollkommnung hinaus geht, also das poetische Moment, entscheidend. Die Technik gilt es durchaus zu pflegen, aber über diese Pflege der bewusst ausgeübten Technik hinaus spricht sich in unserer Praxis, in der Performance der Taiji-Formen beispielsweise, auch etwas aus, das über unsere bloß persönliche Intention hinaus geht, nämlich Harmonie überhaupt. Diese sich über unseren persönlichen Willen hinaus aussprechende Harmonie bezeugt die gelungene Einbettung unserer einzelnen Existenz in den umgreifenden Rahmen der Natur (Tao). So setzt uns die Performance der Form in einen Gleichklang von persönlicher und allgemein natürlicher Existenz – in unserer Performance spricht sich sowohl unsere Persönlichkeit als auch Tao überhaupt aus. Unsere Persönlichkeit spricht sich in unserer bewusst ausgeübten Technik aus, Tao in dem poetischen, harmonischen Moment der Performance. In diesem, poetischen, Moment erkennt sowohl der Betrachter, als auch der Einzelne Performer, dass in der Form mehr am Werke ist, als bloß der Wille des Einzelnen. Es kommt etwas hinzu, indem der Performer es geschehen lässt. Dies aber ist nicht von ihm intendiert, sondern kommt aus dem Geschehen-lassen, als der Gelassenheit. Die Form also wird mit Gelassenheit ausgeübt und indem man gelassen tätig ist, lässt man die Entfaltung des Poetischen zu, dessen, was uns im Augenblick der Performance nicht bewusst ist, was aber von entscheidender Qualität für das Gelingen der Form und die gelingende Einbettung unserer selbst in den Gesamtkontext eines gelingenden Lebens ist.
Leben, sowie Natur bedeuten hier Tao. Nicht mein Leben, nicht dieses oder jenes Naturgeschöpf, sondern Leben überhaupt und Natur als ewiges Werden, Entstehen ist hier thematisch. Was daran meins ist, ist nichtig, ist Abgrenzung, ist Technik. Was sich gleichsam ohne mein Hinzutun in „meiner“ Performance ausspricht, ist das entscheidende, ist die Präsenz des höheren Prinzips in mir, ist Tao als Te.
Gelassenheit ist darum entscheidend. Gelassenheit aber äußert sich in Ansehung unseres begrifflichen Strebens danach, Tao zu verstehen, darin, dass wir den Anspruch, es vollständig begrifflich zugänglich zu machen, fallen lassen und uns für die Möglichkeit öffnen, dass sich uns Tao als Te zuspricht. Es spricht sich uns dort zu, wo wir selbst bereit sind, es zu vernehmen, zu hören. Dies aber geschieht in der Gelassenheit. In der Gelassenheit lassen wir Tao sein, wollen es nicht begrifflich in ein Korsett zwängen.
Tao als das Ewige
1.3. Tao als wu-wu, das ewig wu-seiende
1.4. Te als in Gelassenheit Tätiges Tao
1.4.1. Taiji, Paqua und Xin Gi als Te
1.5. Wu-wei
1.5.1. Wu-wei des Tao
1.5.2. Wu-wei des Menschen
1.5.3. Taiji, Paqua und Xin Gi als wu-wei des Menschen